FREI NACH SHAKESPEARE

Dabei geht es nicht nur um die Geschichte selbst, sondern auch um die  unterschiedlichen Sichtweisen auf den Stoff. Während die Szenen mehr und mehr in lebendiges Spiel übergehen, rücken die gelben Reclamheftchen, aus denen gelesen und zitiert wird, zunehmend in den Hintergrund. Im Laufe der Inszenierung muss ständig neu ausgehandelt werden, wer die einzelnen Rollen spielen darf... Schon bald entsteht ein erbitterter Konkurrenzkampf um die schönsten Monologe Hamlets.

 

"Die Bibliographie der Abhandlungen über Hamlet ist zweimal so dick wie das Warschauer Telefonbuch. Über keinen leibhaftigen Dänen ist soviel geschrieben worden wie über Hamlet. Dieser Shakespearsche Prinz ist ganz gewiss der berühmteste aller Dänen. Stimmen und Kommentare umranken Hamlet, so dass er zu einem der wenigen literarischen Helden wurde, die unabhängig vom Text, unabhängig vom Theater leben. Sein Name bedeutet selbst denjenigen was, die Shakespeare nie gelesen noch gesehen haben. Er ähnelt darin, wie Eliot bemerkte, Leonardos Mona Lisa. Bevor wir das Bild zu sehen bekommen, wissen wir bereits, dass es lächelt. Dieses Lächeln hat sich gleichsam vom Portrait selbst gelöst, es hat sich verselbständigt. (...) So verhält es sich auch mit dem Hamlet, und vor allem mit dem Theater-Hamlet. Denn zwischen uns und dem Text steht nicht nur das Eigenleben Hamlets in der Kultur, sondern auch sein Umfang. Hamlet lässt sich nicht im Ganzen spielen, er würde sechs Stunden dauern. Man muss eine Auswahl treffen, Kürzungen, Streichungen vornehmen. Man kann nur einen Hamlet spielen, einen von denen, die in diesem Einzelstück enthalten sind."           Jan Kott: Der Hamlet der Jahrhundertmitte

 

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